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«Containern» in Deutschland

Lebensmittel retten: Bundesminister schlagen «Containern» ohne Strafe vor

Stand 11.01.23 - 08:13 Uhr

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Die Lebensmittelverschwendung soll reduziert werden. Da ist man sich in der Bundesregierung einig. Doch wie lässt sich dieses Ziel am besten erreichen?

Lebensmittel retten: Bundesminister schlagen «Containern» ohne Strafe vor

Studenten nehmen weggeschmissene Lebensmittel aus einer Mülltonne.

Elf Millionen Tonnen Lebensmittel jährlich entsorgt

Justizminister Marco Buschmann (FDP) und Landwirtschaftsminister Cem Özdemir (Grüne) wollen dafür sorgen, dass niemand mehr dafür bestraft wird, dass er noch genießbare Lebensmittel aus Abfallcontainern holt. Eine Gesetzesänderung auf Bundesebene ist allerdings vorerst nicht geplant.

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Vielmehr werben die beiden Bundesminister in einem gemeinsamen Schreiben an die Justizminister und -senatoren der Länder dafür, einen Vorschlag des Landes Hamburg von 2021 zu unterstützen. Dieser sieht eine Änderung der Richtlinien für das Straf- und Bußgeldverfahren vor, die von den Ländern beschlossen werden könnte. Einzelne Länder signalisierten zumindest Gesprächsbereitschaft.

Laut dem Vorschlag sollte das sogenannte Containern nur noch bestraft werden, wenn ein Hausfriedensbruch vorliegt, «der über die Überwindung eines physischen Hindernisses ohne Entfaltung eines wesentlichen Aufwands hinausgeht oder gleichzeitig den Tatbestand der Sachbeschädigung erfüllt». Mit anderen Worten: Wer über eine niedrige Mauer steigt, um an den Abfallcontainer des Supermarktes zu gelangen und Lebensmittel mitnimmt, soll dafür nicht wegen Diebstahls belangt werden. Wer auf der Suche nach noch verzehrfähigen Lebensmitteln ein Tor aufhebelt und beschädigt, müsste dagegen weiterhin mit einer Strafe rechnen.

«Wenn sich Menschen weggeworfene Lebensmittel mit nach Hause nehmen, ohne dabei eine Sachbeschädigung oder einen Hausfriedensbruch zu begehen, dann muss das nach meiner Meinung nicht weiter strafrechtlich verfolgt werden», sagte Buschmann. Özdemir schlug vor, die Änderungen bei den Richtlinien zum Verfahrensrecht könnten Bausteinen im Kampf gegen Lebensmittelverschwendung sein – «hier können auch die Bundesländer einen konkreten Beitrag leisten».
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Richtiger Schritt? Reaktionen aus den Bundesländern

Bayerns Justizminister Georg Eisenreich (CSU) erklärte: Die vorgeschlagene Änderung der Richtlinien «werden wir sorgfältig prüfen». Zu bedenken sei dabei, dass der Verzehr von Lebensmitteln aus Abfallcontainern mit ernsten Gesundheitsgefahren verbunden sein könne, zum Beispiel bei Lebensmitteln, die gekühlt werden müssten. Ziel müsse sein, «dass noch verwendbare Lebensmittel gar nicht erst in Abfallcontainern landen».

Bremen begrüßte den Vorstoß. Es sei obszön, Menschen dafür zu bestrafen, noch genießbare Lebensmittel aus Abfallcontainern zu holen, sagte ein Sprecher des Bremer Justizressorts. In der Praxis gebe es in Bremen bereits seit Jahren keine Fälle von strafrechtlicher Verfolgung wegen Containerns. «Das liegt auch daran, dass die Unternehmen keine Anzeige erstatten», sagte der Sprecher. Ein Bremer Kaufhaus erlaubt das «Containern» ausdrücklich, andere Supermärkte kooperieren mit sogenannten Lebensmittelrettern.

Die sächsische Justizministerin Katja Meier (Grüne) findet den Vorschlag der Minister zwar grundsätzlich gut. Sie würde sich aber mehr wünschen: «Unsere europäischen Nachbarn machen uns vor, dass mit einem Verbot des Entsorgens von Lebensmitteln durch den Handel, das Problem an der Wurzel angegangen wird.» Eine entsprechende gesetzliche Regelung stünde nach ihren Worten auch Deutschland gut zu Gesicht.

Baden-Württembergs Landwirtschaftsminister Peter Hauk (CDU), findet, die Bundesregierung sollte, um Lebensmittelverschwendung zu reduzieren, einen anderen Ansatz wählen. Er forderte: «Das Mindesthaltbarkeitsdatum muss in seiner bestehenden Form abgeschafft werden, denn es ist noch immer ein Grund dafür, dass zu viele Lebensmittel weggeworfen werden.»

Die Justizministerin von Mecklenburg-Vorpommern will den Vorschlag aus dem Bund immerhin prüfen. «Für mich bleibt wichtig, Containern unter gewissen Voraussetzungen nicht mehr unter Strafe zu stellen. Denn wenn es um hungernde Menschen geht, kann Strafe keine Lösung sein», sagte Jacqueline Bernhardt (Linke). Die Umsetzung werde in den nächsten Wochen bundesweit diskutiert werden müssen.

Hessens Justizminister Roman Poseck (CDU) sagte, sein Bundesland werde die Diskussion aufgreifen, insbesondere im Ausschuss für Richtlinien für das Strafverfahren und das Bußgeldverfahren, in dem Hessen den Vorsitz hat. «Es wird darum gehen, eine Lösung zu finden, die den Besonderheiten des "Containerns" und der in der Regel fehlenden Strafwürdigkeit Rechnung trägt und die gleichzeitig die Systematik des Strafrechts und des Strafverfahrens beachtet.»
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Der rheinland-pfälzische Justizminister Herbert Mertin «hält die Entkriminalisierung durch die vorgeschlagene Änderung einer Verwaltungsvorschrift derzeit nicht für zielführend», wie ein Sprecher mitteilte. Vielmehr würde es der FDP-Politiker begrüßen, «wenn der Bundesgesetzgeber in der angekündigten großen Reform des Strafgesetzbuches klarstellen würde, dass das "Containern" nicht strafbar ist». Zu einer deutlichen Reduzierung der Ermittlungsverfahren könne schon führen, wenn beispielsweise Supermärkte verpflichtet würden, die zur Entsorgung vorgesehenen Lebensmittel für soziale Zwecke zur Verfügung zu stellen.

Jährlich werden rund elf Millionen Tonnen Lebensmittel entsorgt

Laut Bundeslandwirtschaftsministerium werden jedes Jahr in Deutschland rund elf Millionen Tonnen Lebensmittel entsorgt. Jeder Verbraucher in Deutschland wirft demnach im Schnitt 78 Kilogramm pro Jahr weg. Das sind 59 Prozent der Lebensmittelabfälle. Etwa 17 Prozent der Lebensmittel werden in Restaurants, Kantinen und bei anderen Formen der Außer-Haus-Verpflegung weggeworfen. Bei der Verarbeitung gehen laut Ministerium rund 1,6 Millionen Tonnen verloren, etwa durch fehlerhafte Verpackungen, das sind 15 Prozent der Lebensmittel. Im Handel entstehen demnach sieben Prozent der Lebensmittelabfälle, etwa durch zu große Bestellmengen, die nicht vollständig verkauft werden. Der Schwund, der in der Landwirtschaft entsteht, etwa bei der Lagerung oder durch Schlachtabfälle, macht demzufolge rund zwei Prozent aus.

Rolf Sommer vom WWF Deutschland sagte: «Die Legalisierung des Containerns ist ein guter Schritt, aber damit packt die Bundesregierung das Problem Lebensmittelverschwendung nicht an der Wurzel an.» Was am Ende in der Tonne lande, werde nur besser verteilt. Besser wäre nach seinen Worten eine gesetzlich verankerte Pflicht zur Reduzierung von Lebensmittelabfällen – für alle Wirtschaftsbeteiligten auf allen Herstellungs- und Vertriebsebenen.
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Der Handelsverband Lebensmittel sieht dagegen gar keinen rechtlichen Handlungsbedarf. «Bereits heute bietet das Straf- und das Strafverfahrensrecht ausreichende Möglichkeiten, allen denkbaren Fallkonstellationen im Einzelfall Rechnung zu tragen», sagte Hauptgeschäftsführer Franz-Martin Rausch.

Forderung nach «Essen-Retten-Gesetz»

Rezzo Schlauch, der sich als Anwalt 2020 für zwei junge Tübinger eingesetzt hatte, die beim Containern erwischt worden waren, kritisierte den Vorstoß der Minister dagegen als nicht weitgehend genug. Er sagte: «Das halte ich für halbgar, wenn man da einen klaren Schnitt machen will, muss man die Strafbarkeit von Containern aufheben.» Die Klimaaktivisten der Gruppe «Letzte Generation» hatten im vergangenen Jahr Straßen mit der Begründung blockiert, sie wollten Druck auf die Bundesregierung ausüben, damit diese ein «Essen-Retten-Gesetz» auf den Weg bringe.

Das Bundeskabinett hatte kurz vor Weihnachten einen Gesetzentwurf von Buschmann zum Sanktionenrecht beschlossen, der unter anderem eine kürzere Haft bei nicht bezahlter Geldstrafe vorsieht. Über eine weitere Reform, bei der beispielsweise das Schwarzfahren von der Straftat zur Ordnungswidrigkeit herabgestuft werden könnte, hat die Regierung dagegen noch nicht entschieden. Im Zuge dieses Vorhaben, das aber noch etliche Monate in Anspruch nehmen dürfte, wäre denkbar, dass zum «Containern» auch eine Änderung im Strafrecht kommen soll.

Im Koalitionsvertrag von SPD, Grünen und FDP ist das aber nicht explizit vorgesehen. Dort heißt es lediglich: «Wir werden gemeinsam mit allen Beteiligten die Lebensmittelverschwendung verbindlich branchenspezifisch reduzieren, haftungsrechtliche Fragen klären und steuerrechtliche Erleichterung für Spenden ermöglichen.»

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